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Warum das Paradies langweilig ist und Kulturwissenschaftler nicht auf Englisch schreiben sollten.
Ein Gespräch mit Jürgen Trabant

Jürgen Trabant (61) lehrt Romanische Sprachwissenschaft an der FU Berlin.
Er war unter anderem Gastprofessor in Stanford und Paris.

Wer zur Elite gehören will, muss Englisch können. Wird das Deutsche zu
einer Sprache der Dummen?

Wenn die kulturelle Entwicklung so weitergeht, besteht diese Gefahr, ja.
Wenn die Wissenschaft, die zählt – das sind die Naturwissenschaften und
die, die (ein Berliner Politiker)“relevant“ nennt – nur noch auf Englisch
stattfindet, dann könnten wir eine Situation wie im Mittelalter bekommen:
Hier die Kleriker und Gelehrten, die Latein sprechen, dort das Volk, das
die Landessprache spricht. Englisch ist das neue, globale Latein.

Heute spricht allerdings auch das Volk englisch, zumindest einigermaßen.

Sicher, das ist ein Unterschied zum Mittelalter. Aber wo alles zum
Englischen drängt, da besteht die Gefahr, dass wir all das auf den Müll
werfen, was wir vom 16. bis zum 20. Jahrhundert entwickelt und gepflegt
haben: die Nationalsprachen. Statt diese europäische Vielfalt zu fördern,
bemühen wir uns nur noch um die eine weltumspannende Sprache, in der sich
alle Menschen verständigen können. Auch das ist ja eine ganz alte
Vorstellung: das Paradies, wie es vor dem Turmbau zu Babel war,
einsprachig nämlich.

In Ihrem neuen Buch „Mithridates im Paradies“ stellen Sie dieser
Vorstellung den König Mithridates gegenüber, den letzten Gegner des
römischen Imperiums, der 22 Sprachen konnte – aber gegen die Römer
verlor.

Meine Vision ist es, diese beiden Pole des europäischen Sprachdenkens zu
versöhnen: Mithridates, der die vielsprachige Kreativität repräsentiert,
und das biblische Paradies, in dem alle Menschen eine gemeinsame Sprache
sprechen. In der Bibel wird die Vielfalt der Sprachen nach dem Turmbau
von Babel ja als Strafe dargestellt. Die vielen Sprachen erscheinen als
störend, sie verhindern ja die universelle Kommunikation. In Wirklichkeit
sind sie aber auch ein Reichtum, ein Reichtum des Denkens nämlich: Wir
wissen, dass man in verschiedenen Sprachen auch verschieden denkt. Das
Englische macht zum Beispiel einen interessanten Unterschied zwischen „I
am singing“ und „I sing“, den das Deutsche gar nicht kennt. Wer nur eine
Sprache beherrscht, versteht oft gar nicht, was Verschiedenheit des
Denkens bedeutet.

Deswegen sollten die Wissenschaften in den Nationalsprachen gepflegt
werden?

Das Englische ist ein nützliches Kommunikationsmedium für die
Naturwissenschaften, die von Experimenten und eindeutig definierten
Gegenständen handeln. Bei den Kulturwissenschaften ist das aber anders:
Unsere Gegenstände sind ja gerade die Wörter, Zeichen, kulturelle
Prozesse, und unser wissenschaftliches Produkt ist ein sprachliches. Da
brauchen wir die Sprache, die wir am besten können.

Sie könnten Ihre Gedanken nicht wie ein Naturwissenschaftler auf Englisch
publizieren?

Hin und wieder schreibe ich einen Aufsatz auf Englisch. Aber Bücher?
Nein. Ich habe schon in vielen Sprachen unterrichtet und merke: Ich bin
dann einfach nicht so gut. Mir fehlt mein Instrumentarium. Kennen Sie ein
großes geisteswissenschaftliches Werk der letzten zweihundert Jahre von
einem in Deutschland wirkenden Gelehrten, das nicht auf Deutsch
geschrieben wurde? Ich nicht. Friedrich August Wolf hat 1795 noch auf
Latein geschrieben. Aber seitdem schreiben alle auf Deutsch, von Hegel
bis Habermas.

Und riskieren damit, in der anglophonen Welt nicht zur Kenntnis genommen
zu werden.

Das ist genau die schreiende Ungerechtigkeit. Im Mittelalter hatte
niemand Latein als Muttersprache, alle mussten es erwerben, die Last des
Erlernens der Globalsprache war also gerecht verteilt. Heute dagegen gibt
es Millionen von Menschen, die die Universalsprache als Muttersprache
haben und den anderen uneinholbar überlegen sind. Engländer und
Amerikaner halten es in der Regel nicht für nötig, fremdsprachige Werke
zu lesen, und sie zeigen auch kein großes Interesse daran, sie übersetzen
zu lassen. Deswegen brauchen wir ein öffentlich finanziertes
Übersetzungsprogramm. Die Naturwissenschaftler bekommen ja auch für
Millionen Euro Apparate, damit sie konkurrenzfähig bleiben. Wir brauchen
Übersetzer.

Ihr Plädoyer für das Deutsche mag manchem hierzulande altmodisch
erscheinen.

In Deutschland gilt es ja schon als uncool, wenn man einfach darauf
hinweist, was für eine wunderbare Sprache das Deutsche ist. Das ist eine
Langzeitwirkung des Nationalsozialismus. Die europäische Vielfalt der
Sprachen ist ein Reichtum, keine Katastrophe. Deswegen fände ich es auch
besser, wenn Kinder zuerst das Hochdeutsche gut lernten, das im übrigen
für die meisten die erste „Fremdsprache“ ist, dann eine Nachbarsprache,
Französisch etwa oder Polnisch, und erst dann Englisch. Wer als erstes
Englisch lernt, sieht oft gar nicht mehr ein, wieso er noch eine weitere
Sprache lernen soll.

Auf welches englische Wort würden Sie ungern verzichten?

Manche Fachtermini sind nützlich. In der Konversationsanalyse etwa
spricht man vom „turn taking“, wenn in einem Gespräch der Sprecher
wechselt. Dafür braucht man kein deutsches Wort zu erfinden. Trotzdem
will ich über das Turn Taking auf Deutsch sprechen dürfen. Es mag
sinnvoll sein, wenn die Naturwissenschaftler in höheren Semestern auf
Englisch unterrichten. Aber einen Germanisten zu zwingen, in Deutschland
auf Englisch Goethe zu lehren, ist Unsinn.

Aus dem Archiv des Tagesspiegels (1.04)

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