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Wann wird eine Nation sprachlos?

Dokumentation bedrohter Sprachen
Als Folge einer «kulturellen Globalisierung» seien rund zwei Drittel der derzeit weltweit gesprochenen 6500 Sprachen in den nächsten ein bis zwei Generationen vom Aussterben bedroht, teilte die Volkswagen Stiftung mit. 90 Prozent jener 6500 Sprachen würden schon heute von jeweils nicht einmal mehr 5000 Menschen beherrscht. (GKP-Informationen III/2002)
Deutsche Sprache international fast bedeutungslos
Die deutsche Sprache spielt in der internationalen Wissenschaft nur noch eine geringe Rolle. Das teilte die Bundesregierung mit. 90 Prozent der Fachbeiträge würden auf Eng-lisch veröffentlicht, Publikationen in anderen Sprachen kaum noch zur Kenntnis genommen. Versuche, gegen diesen Trend vorzugehen, sind nach Einschätzung der Regierung zum Scheitern verurteilt. Deutschkenntnisse von Ausländern würden allerdings in Wirtschaft und Handel als Zusatzqualifikation geschätzt.
«Gehört die deutsche Sprache auch zu den bedrohten Sprachen?»
Die Frage wird, so bin ich sicher, für über-zogen gehalten, im günstigsten Fall als journalistischer Gag belächelt. Aber so abwegig ist die rhetorische Frage nicht.
Aufmerksame Leser von Tageszeitungen, Illustrierten, Werbeanzeigen, Hörer von Hör-funk- und Fernsehsendungen stellen sicherlich täglich fest, dass immer mehr englische Wörter unsere Sprache durchsetzen. Dabei handelt es sich nicht etwa nur um Fachbegriffe, wie beispielsweise im Bereich des Computers, die im World Wide Web auch global benutzt werden, sondern um Begriffe, die seit eh und je mit deutschen Wörtern benannt wurden: Flyer für Flugblatt, Folder für Faltblatt, Games für Spiele, Fun für Spass. Für dieses Vokabular gibt es inzwischen den Begriff «Denglisch», also ein Gemix aus Deutsch und Englisch. Deng-lisch begegnet uns jeden Tag massenhaft. Viel-leicht kann man über die tägliche Dosis noch gelassen hinwegsehen. Aber wenn man im Internet auf der Website des Vereins Deutsche Sprache, Dortmund, die monatliche Auflistung von Beispielen der «Sprachverhunzung» liest, dann kann einem schon grauen.
Wenn in Modejournalen Jil Sanders sprachpanscherprämierte Äusserungen veröffentlicht werden, dann kann man das noch als Leckerbissen für Snobs einordnen. Aber der Umgang zum Beispiel der Post mit der deutschen Sprache beleidigt Millionen von Bürgern, die sich nicht einmal durch den Boykott dieser Dienstleistungseinrichtung dagegen wehren können. Und von diesen Millionen spricht und versteht nur ein Teil die englische, besser gesagt die amerikanische Sprache. Auf dem Hintergrund des Wandels der Öffentlichkeit zu einer «multikulturellen» Gesellschaft kann man doch wohl fragen, wie viele unserer ausländischen Mitbürger denn wohl Englisch verstehen.
Es gibt zum Glück jedoch Zeitgenossen, die das nicht nur beklagen, sondern dem auch gegensteuern. Dass sie dafür belächelt werden, sollte und wird sie nicht entmutigen. Inzwischen bekannt geworden ist der VDS, Dortmund.
Man kann obige Auswüchse wahrscheinlich kaum mit rationalen Argumenten bekämpfen, sondern besser mit Ironie. Und so hat der Gründer und Vorsitzende des VDS ein Büchlein, ja ein Pamphlet, mit dem Titel «Modern Talking auf deutsch» herausgegeben. Im Nachwort erläutert der Autor die Zielrichtung seines «populären Lexikons»:
«Lächerlichkeit tötet. Und das hier gesammelte ‹pseudokosmopolitische Imponiergefasel› (SZ) vieler Zeitgenossen, wie affig, peinlich, oder dumm auch immer, ist vor allem eines: in hohem Masse lächerlich. Wie bei des Kaisers neuen Kleidern scheint das aber bisher niemandem so richtig aufzufallen. Ich würde also die vorliegende Sammlung moderner Sprachverirrungen gern als Gegenstück des Ausrufs ‹Mutter, der Kaiser hat ja keine Kleider!› sehen: Mutter, der Kaiser hat ja keine Wörter. Und ich hoffe, das aufgeblasene Wichtigtuer-Denglisch moderner lifestyle-Jünger möge, einmal in seiner ganzen Albernheit entlarvt, mangels neuer Anhänger von selbst vertrocknen.
Vorerst aber scheint die hier nachgezeichnete Flucht aus der deutschen Sprache noch an Schwung und Stärke zuzunehmen: Kein Sportfest oder Tanzvergnügen, das nicht als Event verkleidet würde, kein Volkslauf oder Kegelerausflug ohne ‹outdoor›- oder ‹openair›-Umschreibung, kein Wandertag, keine Abiturfeier, kein Grillvergnügen, kein Konzert des Kirchenchores ohne den obligaten Diener über den Atlantik und die gleichzeitige Verleugnung der eigenenSprache und Kultur. Der moderne Modell-Germane joggt, jumpt, trekkt, walkt, skated oder biket, hat fun und feelings, moods und moments, sorrows und emotions und scheint vor nichts auf Erden solche Angst zu haben, als neue Dinge oder Sachverhalte in seiner eigenen Sprache zu benennen. – Deutsch zu sprechen ist vielen Deutschen offensichtlich lästig oder peinlich.»
Hans Fahle, Juli 2002
Kath. Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (gekürzt)

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